ZDF 37 Grad | 30 min, 2016

Zu Hause leben geht nicht mehr, denn sie gleiten allmählich ins Vergessen: die Bewohner von Tönebön am See, dem ersten Demenzdorf Deutschlands. Hier entscheiden sie so weit wie möglich selbst, wie sie leben wollen. Drei von ihnen haben uns mit in ihre Welt genommen: Barbara Thiede, die schon mit Ende vierzig jeden Tag mehr vergaß, Dieter Jorek, der glaubt,  er sei zur Kur hier,  und Wilma Dohmeyer, die heute wieder in den 50er Jahren lebt. Sie verlieren ihre Erinnerungen, ihr Denkvermögen und allmählich sich selbst. Dass es dennoch glückliche Momente in ihrem Leben gibt, hat mit dem Ort zu tun, an dem sie leben. Ein halbes Jahr lang haben wir die drei und ihre Angehörigen mit der Kamera begleitet.

Stab

Buch und Regie: Jana Matthes & Andrea Schramm
Kamera: Bernd Meiners, Jörg Johow
Schnitt: Andrea Trüper
Redaktion: Silvia Schmidt-Kahlert

Rezensionen

„Am Dienstagabend zeigte das ZDF bei 37 Grad eine eindringliche Reportage aus einer Wohnanlage in Niedersachsen, wo Demenzkranke und ihre Betreuer miteinander leben: im „Dorf des Vergessens“. Es ging um die schwierigsten, heikelsten Fragen von Gesundheit und Krankheit, um Glück und Respekt und Trauer und Trost…und darum, wie seine Bewohner in ihrem eigenen Inneren gefangen sind, in einer Erinnerung, in einem Leben von gestern, aus dem sie nicht mehr herausfinden, darum, wie ihre Angehörigen, die sie langsam vergessen, damit ringen, nicht mehr an dieses Innere heranzukommen“

FAZ Sonntagszeitung

„Jana Matthes und Andrea Schramm haben für ihre Langzeitbeobachtung die Bewohner der Einrichtung über ein halbes Jahr begleitet und stellen sie den Zuschauern in einfühlsamen Portraits mit ihren persönlichen Lebens- und Demenzgeschichten vor.“

Freie Presse

Selbstbestimmt Leben mit Demenz

„Eine einfühlsame Reportage im Zweiten berichtet aus dem „Demenz-Dorf Tönebön – einer Einrichtung, die Erkrankten ein möglichst freies, geschütztes Alltagsleben ermöglichen möchte. Es beginnt schleichend. Zunächst verlegt man mal wieder seinen Geldbeutel, vergisst den genauen Stellplatz von Auto und Fahrrad – oder lässt mal eben kochendes Essen auf dem Herd. Doch nach und nach wächst die Verunsicherung bei vermeintlich vertrauten Abläufen und Gesichtern. Und bei Freunden und Verwandten macht sich die Gewissheit breit, dass „etwas nicht mehr stimmt“. Demenz ist eine Volkskrankheit, die in einer stark alternden Gesellschaft wie der deutschen zu einem immer größeren Problem wird. Laut Welt-Alzheimer-Bericht erkrankt auf der Welt alle 3,2 Sekunden ein Mensch an Demenz. Fast so viele Millionen Menschen leben derzeit mit einer entsprechenden Erkrankung, für das Jahr 2030 gehen Forscher von über 74 Millionen Demenz-Fällen aus. Die ZDF-Reportage „37° – Dorf des Vergessens“ stellt eine  beispielhafte Therapieeinrichtung vor, die das Leben für die Betroffenen so erträglich wie möglich machen möchte. Von außen betrachtet wirkt Tönebön am See bei Hameln fast ein wenig wie ein Feriendorf – mit einem eigenen Minimarkt, einem Friseur und einem Café. Das Haupthaus hat eine Rezeption mit freundlichem Empfangspersonal. Alle Flachbauten tragen den etwas hochgreifenden Namen „Villa“ – wie man das aus  schicken Urlaubsressorts eben so kennt. Allerdings ist da noch ein starker Zaun. Tatsächlich steht Tönebön für eine in Deutschland einmalige Einrichtung für Demenzkranke – und zwar eine, die ihren Bewohnern ein, soweit das noch geht, selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Alle Türen in Tönebön sind unverschlossen, so Bewohner können sich gegenseitig besuchen, ihrem eigenen Lebensrhythmus nachgehen. Und diesem Rhythmus passen sich ihre Betreuer an und nicht andersherum. So läuft Dieter Jorek etwa jeden Tag seine Runden im weitläufigen Garten. Kein Wunder: Er wanderte schon immer gerne. Und in seiner Wahrnehmung befindet er sich nicht im „Demenz-Dorf“, sondern auf Kur im Grünen. Ähnlich empfindet vermutlich Wilma Dohmeyer: Die 82-Jährige, die noch rüstig mit dem Rollator unterwegs ist, verlässt gerne mal Gemeinschaftstreffen wie einen Gesangskurs -mit der Begründung, dass sie zu Hause Essen für ihre Kinder machen müsse. Ihre Pfleger wissen natürlich, dass Wilmas fünf Kinder längst erwachsen sind. Doch es ist der Stil von Tönebön, die Erkrankten ernst zu nehmen und ihnen ein Umfeld zu bieten, dass sie an ihren ehemaligen Alltag erinnert. Jana Matthes und Andrea Schramm haben für ihre Langzeitbeobachtung die Bewohner der Einrichtung über ein halbes Jahr begleitet und stellen sie den Zuschauern in einfühlsamen Portraits mit ihren persönlichen Lebens- und Demenzgeschichten vor. Zur Einrichtung gehört ein großer Garten, dessen Wege alle zurück zu den Wohnhäusern führen.“

Rupert Sommer | Freie Presse Chemnitz vom 12.01.2016