WDR arte | 60 min, 2004

Sieben Russen, vier Kühlschränke, eine Küche und ein Klo – wohnen auf russische Art. Vier Familien leben zusammen auf 92 Quadratmetern in einem abrissreifen Hinterhaus am Newaufer. Und alle wollen nur eins, raus aus der Kommunalka, dieser staatlich verordneten Zwangsgemeinschaft. Und doch haben sie sich zwischen Stromausfällen, Kabelbränden und Rohrbrüchen eingerichtet. Das Provisorium wurde längst zum Dauerzustand. Und hinter dem scheinbar harmonischen Küchenalltag brodelt es. Da wimmeln die Alten die Liebhaber der Jungen am Telefon ab und beschimpfen sie hinter vorgehaltener Hand als schlechte Hausfrau. Die eine geht unter einem Stalinbild schlafen, während die anderen sich streiten, ob es nun unter Breschnew oder Gorbatschow leichter war. Liebe und Haß liegen auf 92 Quadratmetern eng beieinander. Wir haben Walja, Walentina, Nina und Tanja über ein Jahr begleitet. Entstanden ist ein beobachtender Porträtfilm, der einen mit den Bewohnerinnen und ihren kleinen und großen Katastrophen leben läßt. Ein sinnlicher Film über vier starke Frauen, die mit hochgekrempelten Ärmeln und einem Lächeln auf den Lippen gegen den russischen Alltag angehen.

Festivals

Filmfest Barcelona, 1.Preis: „Temática Urbana“
Thessaloniki International Filmfestival

Stab

Buch und Regie: Eva Gerberding & Andrea Schramm
Kamera: Bernd Meiners
Ton: Andrea Schramm
Schnitt: Frank Müller

Rezensionen

Spielräume einer Gesellschaft im Umbruch
„Der zweite Film der arte-Themenabends „92 Quadratmeter Russland“ ist eine Milieustudie aus St. Petersburg: Er ist emotional dicht und hat eine konsequent durchgehaltene Dramaturgie. Dieser Dokumentarfilm bewegt sich mit durchdachter Kameraführung fast ausschließlich in den beengten Räumen einer russischen (staatlich verordneten) Zwangswohngemeinschaft in einem heruntergekommenen Haus in der Petersburger Altstadt. Es gibt nur wenig Außenaufnahmen, die in erster Linie dazu da sind, Stimmung und Atmosphäre des Films zu stützen. Er zeigt viele Bilder, die zunächst äußere Tristesse signalisieren, die aber durch die zum Ausdruck kommende Individualität, den Humor und den Lebensmut der vorwiegend weiblichen Bewohner aufgehellt werden.
Besonders die Art und Weise, wie die Personen porträtiert werden, steht für die Qualität des Films. Die Filmemacherinnen, die offenbar das Vertrauen der Bewohner erworben haben, bringen sie mit behutsamen Fragen vor der Kamera zum Sprechen und Agieren, das selbst dort sehr authentisch wirkt, wo es explizit für die Kamera provoziert wird.
Eine intensive Momentaufnahme, die vollkommen in seinen Bann zieht.“

Brigitte Knott-Wolf | Funkkorrespondenz/dpa vom 12.3.2004